Janowitz, Axel: Die Lüneburger Saline im 18. und 19. Jahrhundert (=
Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte 5). Bielefeld: Verlag für
Regionalgeschichte 2003. ISBN 3-89534-435-4; Pb.; 416 S.; EUR 29,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Eckart Maier, Lehrbeauftragter am Fernstudienzentrum der Universität
Lüneburg, E-Mail: <maier@uni-lueneburg.de>
Obwohl fast seit den Anfängen moderner wissenschaftlicher
Geschichtsschreibung auch der Lüneburger Salinenbetrieb Gegenstand
zahlreicher historischer Untersuchungen gewesen ist, ist "Die Geschichte
der Lüneburger Saline" noch immer unvollständig. Die bisherigen
Untersuchungen waren meist aus stadtgeschichtlichem Interesse heraus
entstanden, und endeten daher an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert,
als der Betrieb von städtischer in landesherrliche Regie überging. Mit
der Arbeit von Axel Janowitz liegt nun eine Studie vor, die über den
stadtgeschichtlichen Rahmen hinaus den landesherrlichen Betrieb bis hin
zur Industrialisierung beschreibt. Sie schließt eine nicht nur von
Salinen- und Regionalhistorikern, sondern auch von
geschichtsinteressierten Laien als schmerzlich empfundene Lücke. Daher
wendet sich die Publikation nicht nur an das Fachpublikum, sondern
ebenso an Geschichtsinteressierte, die ihren Museumsbesuch inhaltlich
vertiefen möchten, und an Menschen, die sich aus regionalgeschichtlichem
Interesse für die Geschichte Lüneburgs und seiner Saline interessieren.
Dies ist ein Wagnis, handelt es sich doch um die unveränderte Fassung
einer Dissertation aus dem Jahr 1998. Illustrationen finden sich,
abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur im Anhang. Dennoch überzeugt
Janowitz durch sprachliche Klarheit wie durch einen ausreichenden, aber
nicht überbordenden Anmerkungsapparat.
Wer von Axel Janowitz einen chronologischen Abriss der Salinengeschichte
über zwei Jahrhunderte erwartet, wird enttäuscht. Dreh- und Angelpunkt
des Buches ist die im zeitgenössischen Sprachgebrauch sogenannte
"Salinenreform" der Jahre 1794 bis 1802. Hierbei handelte es sich um
eine grundlegende Umstrukturierung des Betriebes in technischer
Hinsicht, in der Betriebsverfassung und in der wirtschaftlicher
Organisation. Diese Umstrukturierung, die vom Landesherrn veranlasst
wurde, stellt zweifelsfrei eine Zäsur in der über 1000jährigen
Geschichte dieser Saline dar.
In den beiden auf die Einleitung folgenden Kapiteln behandelt Janowitz
auf ca. 60 Seiten chronologisch die Vorgeschichte dieses Ereignisses.
Zunächst widmet er der wirtschaftlichen Entwicklung der Saline im 18.
Jahrhundert das zweite Kapitel, um dann das Zustandekommen der
Umstrukturierungsplanungen in den Jahren 1794 - 1797 zu beschreiben. Die
folgenden vier Kapitel beleuchten systematisch klar gegliedert die
Bereiche Verwaltung (Kapitel 4), Beschäftigungssituation (Kapitel 5),
bauliche und technische Entwicklung (Kapitel 6) sowie die
wirtschaftliche Entwicklung (Kapitel 7).Für alle vier Bereiche führt
Janowitz einen Plan-Ist-Vergleich durch. Er stellt die im Salinenplan
festgeschriebenen Vorhaben den tatsächlichen Umsetzungen in der
Anfangsphase nach der Umstrukturierung gegenüber. In einem weiteren
Schritt untersucht er schließlich die langfristigen Auswirkungen dieses
Ereignisses auf den Betrieb bis etwa um das Jahr 1866. Der Wechsel von
der chronologischen in eine sachsystematische Gliederungsform mag
inhaltlich gerechtfertigt sein, erschwert allerdings mitunter den
gezielten Zugriff auf Informations- und Quellenmaterial. Zudem werden
die Zusammenhänge zwischen Verwaltung, Technik und Wirtschaft nur durch
zahlreiche, aber unumgängliche Wiederholungen und Verweise deutlich. Was
bei durchgängiger Lektüre zäh wirkt, ist dabei notwendiges Hilfsmittel
zur Kontextualisierung bei kapitelweisem Zugriff, beispielsweise durch
Verwaltungs-, Technik- oder Wirtschaftshistoriker.
Janowitz arbeitet seine Themen auf breiter Quellenbasis sauber und
detailliert ab. Allein das kann bei der erschreckend guten
Überlieferungslage zu diesem Themenbereich kaum hoch genug eingeschätzt
werden. Neben den umfangreichen Beständen des Lüneburger Stadtarchivs
zieht er auch Quellen aus dem Archiv des Museums für das Fürstentum
Lüneburg sowie aus dem Archiv des Oberbergamtes Clausthal-Zellerfeld
heran, welche erst Ende der 1980er Jahre durch aufwändige Vorarbeiten
von Annegret Reski und Herbert Aagard [1] für die Geschichtsschreibung
zur Lüneburger Saline erschlossen, bislang aber kaum ausgewertet wurden.
In der Chance dieser hervorragenden Quellenbasis liegt jedoch auch die
Gefahr einer allzu großen Quellennähe, der Janowitz in Teilen erliegt.
So übernimmt er aus den Quellen vielfach zeitgenössische und
betriebsspezifische Fachtermini, wie z. B. "Sülfmeister",
"Barmeisterei", "Weißladerei", "Sülzprälaten", "Sülzbegüterte",
"Choralisten", etc., ohne deren Verwendung hinreichend begründet
einzuführen. Hier hätte ein Glossar im Anhang die Lektüre wesentlich
erleichtert, insbesondere, wenn er seinem Anspruch gerecht werden
möchte, mit der vorliegenden Arbeit Vergleichsstudien anzuregen.
Problematisch wird bei Janowitz schließlich seine durchgängige
Verwendung des zeitgenössischen Begriffs der "Salinenreform" für die
Umstrukturierung des Betriebes. Geprägt wurde diese Vokabel von den
Trägern des Umstrukturierungsprozesses, die in mehrfacher Hinsicht unter
erheblichem Erfolgsdruck standen. Mussten sie einerseits im Interesse
des Landesherrn die Saline wieder zu einer lukrativen staatlichen
Einnahmequelle machen, so sahen sie sich auf der anderen Seite
erheblichen Widerständen seitens der städtischen Vertreter der alten
Salinenverwaltung gegenüber. Nun braucht man zwar nicht soweit zu gehen,
den Begriff "Salinenreform" als Propagandabegriff der "Reformatoren" in
deren speziellen Konfliktsituation zu bezeichnen. Doch ist die Übernahme
dieses Begriffs bei Janowitz symptomatisch dafür, dass er sich auch den
Argumentationsgängen seiner Quellen in weiten Teilen nicht entziehen
kann. Die Träger dieses Umstrukturierungsprozesses haben
selbstverständlich gerne über ihre Erfolge berichtet und etwaige
Rückschläge in eigene Erfolge umgemünzt. In einer historischen
Untersuchung sollte aber stärker gerade die Interessengebundenheit
derjenigen berücksichtigt werden, die wesentliche Teile des heute
zugänglichen Quellenmaterials verfasst haben. Der Rechtfertigungsabsicht
seiner Quellen folgend, schreibt Janowitz in der Gesamtbilanz eine
Erfolgsgeschichte dieses Umstrukturierungsprozesses, wonach die
konsequente Umsetzung der landesherrlichen Planungen den
wirtschaftlichen Weiterbestand der Saline im 19. Jahrhundert gesichert
habe (vgl. S. 336). Zu diesem Gesamtergebnis kommt er trotz teilweise
anders lautender Zwischenergebnisse in den Kapiteln seines
Plan-Ist-Vergleichs.
Dort konstatiert er für alle untersuchten Bereiche in der Umsetzung z.
T. erhebliche Abweichungen vom ursprünglichen Salinenplan,
beziehungsweise Verschlechterungen gegenüber der alten Betriebsstruktur.
Diese Ergebnisse weisen aber nicht unbedingt auf eine geradlinige
Erfolgsstory staatlichen Handelns hin. Janowitz' Interpretation, dass
nämlich die radikale staatliche Intervention an der Wende vom 18. zum
19. Jahrhundert das Überleben des Salinenbetriebes bis zur Phase der
Industrialisierung gesichert habe, könnte im Extrem genau umgekehrt
formuliert werden, nämlich dass auch die staatlichen Maßnahmen das
langfristige Überleben des Betriebes nicht verhindert haben. Damit sei
nur auf das breite Spektrum des Interpretationsspielraums hingewiesen,
das Axel Janowitz in seiner Arbeit bei weitem nicht ausschöpft.
Axel Janowitz erhebt nicht den Anspruch, "allgemeingültige Aussagen über
Strukturen und Mechanismen staatlichen Wirtschaftshandelns zu treffen"
(S. 17). Vielmehr versteht er seine Arbeit als einen "Mosaikstein", der
- gemeinsam mit anderen Mikrostudien - eine brauchbare
Vergleichsgrundlage für eine Analyse der Salzproduktion oder des
Bergbau-, Hütten- und Salinenwesens im Kurfürstentum und Königreich
Hannover sein könnte (vgl. S. 17). Diese zeitlich wie regional stark
eingrenzenden Anknüpfungspunkte werden wohl nur einem ganz kleinen Kreis
von Historikern als Forschungsanregung dienen. Von daher hätte Janowitz
- in mehrfacher Hinsicht - sicher "mehr" erreicht, wenn er seine
Untersuchung in eine stärker gegenwartsbezogene oder überregional
relevante Fragestellung eingebunden hätte.
Anmerkungen
[1] Aagard, Herbert / Reski, Annegret (Hrsg.): Akten- und
Quellenverzeichnis zur Geschichte der Saline Lüneburg. Lüneburg 1988.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Ewald Frie <ewald.frie@uni-essen.de>
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