Brigadebücher der Wismut

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Fahrsteiger
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Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Fahrsteiger »

Ungeschönte Zeugnisse geben Einblicke ins Leben der Kumpel
Forschungsarbeit zeigt: Wismut-Brigadebücher widerspiegeln authentischer, als man denkt
Bad Schlema. Es ist ein Wettrennen mit der maroden Technik etwa 1800 Meter unter der Erde. Wieder hat ein Wetterkühler schlappgemacht. Das fürchterliche Geheul der Ventilatoren, die das Klima in der Grube bei erträglichen 25 Grad halten sollen, ist verstummt. Die Kumpel der Kühlmaschinenbrigade, die angerückt sind, versuchen zu retten, was oft nur schwer zu retten ist.
So hat sich häufig der Alltag in den Gruben der Wismut abgespielt¨ - in der Öffentlichkeit war damals kaum etwas davon zu hören. Alte Brigadebücher, die jetzt im Museum Uranerzbergbau in Bad Schlema ausgewertet werden, haben allerdings häufig ein authentisches Bild von der Arbeit und dem Leben der Kumpel gemalt.
Aus dem Brigadebuch der Kühlwasserabteilung geht hervor, dass kaum ein Monat verging, in dem nicht irgendwelche Kühler oder Kaltwasserstationen ausfielen. So ereignete sich im Juni 1976 eine Großhavarie, bei der "durch den Bruch eines Siebes Filterkies in den Kreislauf gespült" wurde, "sodass wegen Wassermangel die Grubenwetterkühler ausfielen". So etwas hätte schnell zu einem noch größeren Problem führen können. Ohne Kühlung klettern die Temperaturen in dieser Tiefe schnell auf 60 Grad. Aber in dem Fall ging es glimpflich aus. Durch einen Wochenendeinsatz konnte die Havarie in kurzer Zeit bei geringem Produktionsausfall verhindert werden, berichtet das Brigadebuch. Aber auch später fielen die überalterten Grubenwetterkühler immer wieder aus - die Situation wurde so akut, "dass durch die hohe Ausfallquote nicht mehr genügend zur Verfügung standen". Erst der Bau eines Großtrockners löste Monate später das Problem. Dafür versagten Turbinen an den Kaltwasserstationen - wieder gerieten Klimatisierung und damit Produktion in Gefahr.
Häufig Unfälle
Der Bergmann war nicht immer der strahlende, makellose sozialistische Held, zu dem ihn die Propaganda so gern machte. Auch darüber geben die Brigadebücher Auskunft. 1980 wird im Brigadebuch der Kühlmaschinenabteilung über Disziplinlosigkeiten ihrer Mitglieder berichtet: "So waren es Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin, wie Nichteinhaltung der Arbeitszeit, Fehlschichten, vorzeitiges Ausfahren, die unser Kollektiv in Verruf brachten." Häufig gab es Unfälle, weil Kumpel unter Tage unberechtigt mit den E-Loks herumkurvten. Einer kippte mit der Lokomotive um, ein anderer fuhr auf dem Puffer mit und hätte sich beinahe verletzt.
Die mehr als 30 Brigadebücher, die frühere Wismut-Kumpel abgegeben haben, werden jetzt in die Bibliothek des Museums Uranerzbergbau eingeordnet, die im Moment im Aufbau begriffen ist. Die meisten sind ungeschönte Zeit-Zeugnisse.
Glück Auf
Horst
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Dem Bergbau verschworen. Im Bergbau geschafft. Zum Bergmann erkoren mit stählerner Kraft.
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markscheider
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von markscheider »

So'n Brigadebuch ist schon interessant. Ich würde das in meinem Besitz befindliche aber nicht der Öffentlichkeit preisgeben, die Leute leben noch...

BTW: wie veraltet kann ein Wetterkühler 1976 gewesen sein, wenn die ersten derartigen Anlagen 1965 in Betrieb gingen?
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Nobi
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Nobi »

Die Brigadebücher spiegeln nicht die volle Realität wieder, sondern nur einen kleinen Teil davon. Es wurde nur das an "Vergehen" hineingeschrieben, was sich nicht leugnen lies. Schließlich gab es ja auch Prämien (z. B. xx Monate Unfallfrei) und da wurde vieles für Geld unter den Teppich gekehrt.

Das Fahren mit Grubenloks ohne entsprechendn Lokschein oder das Mitfahren auf der Kupplung waren alltägliche Sachen und besonders in der Mittel- und Nachtschicht nicht wegzudenken.

Es ist eben nur ein kleiner Baustein im Gesamtbild - mehr nicht.
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Uran
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Uran »

Es ist schon erstaunlich, das man immer wieder versucht „neue“ Erkenntnisse über die Wismut zu erlangen. Jetzt müssen dafür sogar die sozialistischen Brigadetagebücher herhalten. Wer weis wie Beiträge in diesen Tagebüchern entstanden sind, kann sich sicher ein Grinsen nicht verkneifen. Hier werden wieder Wahrheiten mit Unwissen bunt gemixt und als neue Erkenntnis verkauft. Das die Betriebe der DDR auf verschleiß gefahren wurden ist nichts Neues und jedem bekannt. Die Technik mancher Betriebe stammte noch aus der Zeit vor dem Krieg. Demgegenüber war die Wismut materiell-technisch noch gut ausgestattet. Havarien und Reparaturen gibt es auch heute immer und überall. Alles andere wäre ein Wunder. Die Kaltwasserstationen auf den Sohlen -1485 und -1620 wurden in den Jahren 1976 bis 1986 erbaut, also kann da von Überalterung keine Rede sein. Wenn in der Grube 180 bewegliche Kühlaggregate im Einsatz sind, ist es normal dass auch mal einer kaputt geht. Dass ein Großtrockner gebaut wurde lese ich hier zum ersten Mal. Die Feuchtigkeit der einziehenden Wetter kondensierte an den Kühlrippen der Wetterkühler und lief ab. Damit brauchten die Wetter nicht getrocknet werden.
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EnoM
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von EnoM »

Maschinen gehen auch HEUTE noch und weiterhin kaputt, auch wenn der Kaufpreis in die Millionen geht.
Hier anwesende in der Industrie beschäftigte können ein Lied davon singen.

Meint ihr nicht auch, das wir im Licht der Öffentlichkeit eine sehr einseitige Berichterstattung erleben? Bergbau = Gefahr = Drama und das verkauft sich heutzutage gut.
(Die Zeit der lieblichen Heimatfilme ist halt vorbei :) )
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide.
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Uran
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Uran »

Bergbau Gefahr? Es gibt weltweit mehr Verkehrstote wie Tote im Bergbau. Das liest Lieschen Müller und der Deutsche Michel natürlich nicht.
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markscheider
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von markscheider »

Das ist aber auch ein wenig einseitig gesehen: wieviele Menschen nehmen täglich am Verkehr teil, wieviele fahren in ein Bergwerk ein?
Uran
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Uran »

Ich wollte damit eigentlich nur sagen, das der Beruf des Bergmannes schwer und gefährlich ist, aber bei weitem nicht so gefährlich wie in den Medien immer getan wird. Aber wer will im Fernsehen schon normale Nachrichten sehen.
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Mannl
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Mannl »

Kann mich den vorangehenden Meinungen nur anschließen.
Man sucht nur das Negative um alles schlecht zu machen.
Wir haben mit vielen Problemen gekämpft und vieles gelöst.
Wo Menschen arbeiten gibt es leider Fehler die zu schweren Konsequenzen führen können.
Sicherheitsbestimmungen sind streng einzuhalten, es nützt nichts, wenn man viel verdient hat und dann wegen Misachtung der selben ums Leben kommt oder schwer erkrankt ...

Ich wünschte mir mehr Objektivität - Fakten => Fakten besprechen und kompetent bewerten => dann erst veröffentlichen ...

Mitarbeiter im Sprengwesen der Wismut ....
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Nobi »

Mannl hat geschrieben:Sicherheitsbestimmungen sind streng einzuhalten ....
Nunja, das stimmt zwar, aber wenn es danach gegangen war, hätte man viele Schichten einfach nicht arbeiten können. Improvisation war ein ständiger Begleiter und die "Offiziellen", die immer zur Frühschicht mit den Brustlampen durch die Grube getappt sind, haben wissentlich darüber hinweggesehen. Wenn es dann aber mal zu einem Zwischenfall gekommen ist, haben sie natürlich den Finger erhoben. Der Zyklus musste stehen und alles Andere hat sich untergeordnet - auch die Sicherheit.

Es wäre viel interessanter, statt der Brigadebücher die monatlichen Belehrungsunterlagen auszuwerten. Dort sollte man ein weitaus besseres Bild bekommen, wenn man die Unfälle analysiert. Meist sind diese durch Materialmangel verursacht worden, weil Schlauchschellen, Bauklammern, Bohrstangen usw. fehlten. Auch "schlaue Köpfe" haben zahlreiche Unfälle zu verantworten (Stichwort Versatz vs. Filterasche).
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Mannl »

Versatz vers. Filterasche ....

Soll ich das jetzt ausführen ?, war ein "Forschungsthema" mit erstaunlichen Ergebnissen bzgl. der Sprengarbeiten ...
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markscheider
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von markscheider »

Zusätzlich zu den Belehrungsbüchern sollten die Steigerauftragsbücher betrachtet werden, auch wenn da aus Arbeitzschutzsicht mglw. auch nicht immer die ganze Wahrheit drinstand.

Außerdem muß man zwischen verschiedenen Zeiten unterscheiden. Die 70er/80er Jahre sind eine ganz andere Baustelle als die 50er.
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Nobi
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Nobi »

Mannl hat geschrieben:Versatz vers. Filterasche ....

Soll ich das jetzt ausführen ?, war ein "Forschungsthema" mit erstaunlichen Ergebnissen bzgl. der Sprengarbeiten ...
Ausführen brauchst Du das nicht. Was die Versatzschalen durch den "minderwertigen Versatz" bewirkt haben, wissen wir beide sicherlich aus den Belehrungen ...
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Re: Brigadebücher der Wismut

Beitrag von Mannl »

vielleicht doch !?
Versatzschalen => mehrere tödliche Unfälle !

Konsequenz:
- gleichmäßiges einbringen des Versatzes ohne Entmischungserscheinungen.
- geophysikalische Messung des Versatzmassivs während der Auffahrung und Festlegung des Ausbaus
(war nicht mein Fachgebiet, da gab es andere Spezialisten)
- parallele Anordnung der Firstbohrlöcher unter Versatz
Und nun wurde es interessant ! Es gab wieder einen tödlichen Unfall !
Ursache? Manchmal blieb der "Mist" ja am Versatz hängen, also wurde näher und schräg angebohrt, schwerer Fehler (meistens ging es aber gut)
Fragestellung: wie wirkt sich das parallelbohren aus ?
Antwort: Je nach Gesteinsart, Bohrlochabstand zur Firste und Versatzqualität kommt es zu Schwingungsüberlagerungen der seismischen Welle und zur horizontalen Rißbildung im Versatz (vielleicht noch begünstigt durch ungewollte Schichtung).
In der Konsequenz musste der Bohrlochabstand und die Zündfolge optimiert werden.
Aber erkläre das mal alles einem Hauer, der Geld verdienen will/muss ....Aber heute ist das auch nicht viel anders ....

"Man kann alles machen. es darf nur nichts passieren, dann wird es schlimm ..., das kennt ihr ja als "Altbergbaubefahrer"
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