Andere Nischen

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hungerlieb
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Andere Nischen

Beitrag von hungerlieb »

Des Rätsels Teil 2: Nischen anderer Art :D

Zum weiteren Grübeln über Weihnachten und die Feiertage. Natürlich könnt ihr auch mal vorbei kommen und schaut es euch selbst an.
Öffnungszeiten: http://www.andreas-gegentrum-stolln.de

Nach einigen Führungen in jener Grube, will es mir keine Ruhe lassen: wie wurde das Wasser nun genau gehoben?
Kunstrohre sind noch erhalten, eine Nische in der Firste und eine markante Nische neben der eigentlichen Hornstatt.

Merkmale der Situation:
- Das Gesenk befindet sich in der „Friedliebenden Nachbarschaft“, welche älter als der "Andreas Gegentrum Stolln" ist und deshalb keinesfalls von dem dortigen Kunstrad profitieren konnte. Sie wurde vermutlich um 1600 aufgefahren.
- Die Holzrohre sind höchstwahrscheinlich am richtigen Standort – im Fahrtentrum neben den Fahrten – denn die untersten standen noch unberührt. Die Stangen im Fördertrum und die Fahrten im Fahrtentrum passen wie angegossen in die Querhölzer im Liegenden. Diese waren zusammen mit den Ausbaustempeln im Gegensatz zu allen anderen Hölzern nicht in die Tiefe abgerutscht. Beim leer pumpen wurden die Fahrten, die Stangen und die oberen Holzrohre wieder in die wahrscheinliche Originalposition gesetzt – das Holzrohr müsste natürlich über den Wasserspiegel heraus schauen und in ein Gerinne münden. Was aus Mangel an einem originalen Gerinne mit Abflussmöglichkeit keinen Sinn macht, zumal dann das Rohr vermutlich faulen würde.
- Die Hornstatt ist relativ groß
- Das Gesenk ist 9m voll Wasser, der tiefere Teil ist verfüllt – wobei bei 9m ein 12m Seitenort abzweigt und im Gesenk ein Gerinne die Schachtwässer zum Kunstrohr führt. Dieses hat an jener Stelle mehrere Öffnungen und ein „Holzstöpsel“ Bild 3
- Es wurden kein Holzkübel für eine Zwischenspeicherung des Wassers und auch kein Arbeitszylinder gefunden.

Bild 1 – Hornstatt
Bild 2 – Gesenk
Bild 3 – Holzstöpsel – Bild: J. Kugler
Bild 4 – Nische hinter dem Gesenk
Bild 5 – Nische über dem Gesenk
Bild 6 – Gesenk - schräg aufgenommen
Bild 7 – Seitenstrecke – Bild: J. Kugler

Ich habe mal noch eine Skizze der Situation nachgetragen. Maststab als Proportionen sind
annähernd eingehalten. Ein genaues Aufmaß folgt im Januar.


Deutungsversuche:
A- eine Handschwengelpumpe / Krückenpumpe war eingebaut, wobei der Typ und die Ausführung fraglich sind. dagegen spricht: Um Haspeln, Pumpen und Fördern zu
können scheint der Raum zu klein. Zur Erklärung siehe Bild mit Pumpen.

B- eure Meinung?


Kennt jemand mehr von derartigen Merkmalen in Hornstätten? Wo, Ähnlichkeiten, besondere Hinweise…. usw.?

Glück Auf
Hungerlieb :roll:
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hinten links?
hinten links?
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Prinzipskizze
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Bild 1
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Bild 2
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Bild 4
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Zuletzt geändert von hungerlieb am Mo. 31. Dez 07 13:20, insgesamt 1-mal geändert.
Glück Auf!
Sven
alterbergbau.de

Re: Andere Nischen

Beitrag von alterbergbau.de »

Erstmal muss ich sagen: :geil:

Gerne würde ich das mal in original sehen, das kann ich mir nur ganz grob vorstellen. Vor Ort ist aber alles ganz anders.

Die Frage nach der Antriebskraft führt ja dazu, dass man Deinem Vorschlag mit der Handschwengelpumpe am ehesten Folgen Kann.

Das erklärt doch auch das Loch in der Firste (ist das loch genau über dem Kunstrohr ?).

Wie ist das Rohr eigentlich verbunden? Sieht man Reste vom eindichten?

Wenn dagegen der Platz in der Hornstatt spricht, wer sagt, dass die Haspelknechte nicht zwischendurch auch gepumpt haben, oder erstmal gepumpt haben und dann wurde eingefahren und gearbeitet. Wie schnell war das Gesenk nach der Leerpump aktion wieder vollgelaufen? Stunden ? Tage? Wochen?

Bin gespannt, wie die Lösung ist.
Falafel
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Re: Andere Nischen

Beitrag von Falafel »

Für eine Pumpe muß der Raum nicht zu klein gewesen sein! Im einfachsten Fall ist eine sogenannte "Krietzschel-", "Krückel-", "Krücken-"Pumpe möglich (ich hatte in den Archivalien erstmals den ersten Begriff gefunden und hab' lange gebraucht um zu verstehen, was gemeint ist :) ). Es handelt sich um den einfachsten Antrieb. Funktioniert wie eine manuelle Autoluftpumpe, nur daß der Krafteinsatz nicht drückend sondern ziehend erfolgt (aua, mein Rücken - da klatschen die Bandscheiben bestimmt in die Hände).
Zur Erklärung einiger Pumpendetails (z.B. Holzstöpsel, Verbindung der Rohre ...) hilft weiter: Kreibich / Eisbein: Georgius Agricola und die Ehrenfriedersdorfer Radpumpe, ISBN 3-934512-08-9

Ansonsten denke ich, daß sich die Rätsel um die Nischen 1 + 2 am besten mit experimenteller Archäologie klären lassen. Also Hornstatt komplett nachbauen und darin mal arbeiten - da merkt man an ehesten wo es zu eng zum Arbeiten ist und eine Nische her muß.

Glück Auf!
Stephan
alterbergbau.de

Re: Andere Nischen

Beitrag von alterbergbau.de »

Ich hab mal nachgedacht. Wahrscheinlich ist die Gemeinheit, dass das Gesenk mit 45° oder so von der ebenen stollenstrecke abzweigt. Das rohr also von unten schräg ankommt und man entweder schräg zieht oder drückt oder aber eine gelenk einbauen muss? also etwas so wie anliegend?
hungerlieb
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Re: Andere Nischen

Beitrag von hungerlieb »

@altbergbau.de: ja die Nische ist genau über dem Kunstrohr, d.h. es liegt nahe, dass sie notwendig war um dem Pumpenhub durchführen zu können oder die oberste Arbeitsstange auswinkeln zu können.
Davon abgesehen hat das Gesenk ein einfallen von ca. 40 - 60°. Die Hornstadt ist allerdings, wie der Stolln und das Gesenk dem Gangeinfallen angepasst, also andersherum als auf deiner Skizze.

@falafel
Bei dem Gesenk im B. (mit den anderen Nischen) könnte dies durchaus in den nächsten Jahren passieren. Da es nicht das erste ist, wo eine Haspel ähnliches wie vor 300 Jahren tätigt, schätzte ich eben die Platzverhältnisse auch so als ausreichend ein. Es ist übrigens ein interessantes Gefühl in einer Haspelnische zu stehen, zu haspeln und die Eimer abzunehmen, so wie es ähnlich schon ein mal geschah...

Mfg Sven
Glück Auf!
Sven
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Roby
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Re: Andere Nischen

Beitrag von Roby »

Hallo,

anbei noch eine zufällig gefundene Skizze, die sowohl hier, als auch zum Thema "Nischen" passen würde. Es soll nur als Beispiel dienen, welch tolle Konstrukte sich die Kunstknechte damals einfallen ließen.

Sie zeigt einen Teil einer Wasserkunst aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die stehende Welle diente zur Kraftumlenkung.

Im "Andreas Gegentrum Stolln" wurde so eine Kunstruktion natürlich nicht eingesetzt. Die Nischen in Bild AGS-4 und AGS-5 sehen aber so aus, als ob Balken in der Firste - wie in der Skizze - eingepaßt waren. Sei es beim niederbringen des Gesenks (z.B. zum befestigen von Umlenkrollen) oder dann später beim Betrieb.

Zum Thema "Nischen" könnte der rechte Teil der Skizze passen. Der Balken würde sich in einem gewissen Radius nach hinten bewegen. Da der Balken eine genau berechnete Länge haben muß, hätte man ihm eine hübsche Nische in den Stoß gehauen, die oben einen Radius hat. Der untere Teil der Nische hätte als Anschlag dienen können oder sie wurde etwas größer als der benötigte Weg ausgehauen, damit der Balken freies Spiel hat.

Speziell bei der Skizze macht ein Anschlag natürlich keinen Sinn, da der Weg des Balkens vom Hub des Feldgestänges begrenzt wird.

Wie gesagt - die Skizze sollte nur ein Beispiel sein, die Sache mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.


Glück auf!
Roby
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Jan
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Re: Andere Nischen

Beitrag von Jan »

Ich hab schon einige Konstrukte gesehen, aber das ist der Hammer!!!
4 mal Umlenkung von Kräften, Bei jeder Umlenkung Verluste, das da am Schluss überhaupt noch was angekommen ist...
Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler !!!
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Marcel Normann
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Re: Andere Nischen

Beitrag von Marcel Normann »

Vielleicht gab es ja soviel Kraft, daß die Verluste schlichtweg egal waren?
Mein Haushaltstipp: Fettflecken halten sich wesentlich länger, wenn man sie hin und wieder mit etwas Butter einreibt.
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Roby
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Re: Andere Nischen

Beitrag von Roby »

Im Buch "Bergwerks- und Hüttenanlagen der Agricola-Zeit - Ergänzungsband I" habe ich das folgende Bild einer "Drückelpumpe" gefunden. Stephan hat sie bereits in seinem Posting beschrieben.
Wenn ich mir die Draufsicht von Skizze1 so anschaue, könnte die Nische gegenüber den Rohren durchaus zu so einer Pumpe passen.
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