BT-Freizeittipp: Asphaltminen im Val de Travers
Reise in eine kaum bekannte Zeit
Bieler Tagblatt
Lotti Teuscher
Le Bonheur est dans les près, l'avenir dans les mines.
Das Glück ist auf den Wiesen, die Zukunft in den Minen. Ein altes Sprichwort aus dem Val de Travers. Denn die Wiesen und Weiden im sagenumwobenen Tal verheissen glückliche Momente. Naturphilosoph Jean-Jacques Rousseau - bekannt dafür, die schönsten Regionen der Schweiz aufzuspüren - verbrachte längere Zeit beim Creux du Van, der spektakulären Felsarena eingangs des Tales. Über den saftigen Wiesen tanzt die Fée verte - die grüne Fee oder Absinth, von den einen verteufelt und den anderen vergöttert, ist einer der vielen Mythen aus dem Val de Travers.
Untertag hingegen verdienten die Männer ihr Geld mit dem schwarzen Erdpech. Sie schufteten im feuchten Dunkeln bei konstant acht Grad, und jeder von ihnen musste pro Tag elf Loren mit dem bitumenhaltigen Gestein füllen. Wenn die Schwächeren das Soll nicht schafften, dann halfen ihnen die Stärkeren - die Solidarität unter den Minenarbeitern von Travers war gross.
Doch obwohl der Asphalt aus dem Val de Travers von London über New York bis Sidney gebraucht wurde, verdiente niemand das grosse Geld mit dem vielseitigen Material - ausser dem Kanton Neuenburg, der Gebühren auf jede Tonne erhob. Immerhin wurden die Arbeiter anständig bezahlt.
Von 1712 bis 1986 wurde in Travers Asphalt abgebaut. 100 Kilometer Stollen wurden gegraben, danach wurde es still unter der Erde. Keine Sprengung erschütterte mehr den Boden, die Stimmen der Minenarbeiter verstummten; ebenso das Geratter der Loren und das Klappern der Hufe der Pferde, die die schwere Last zum Ausgang brachten.
Inzwischen ist ein Kilometer Stollen zu neuem Leben erwacht. 1993 wurde das Minenmuseum gegründet, am 4. Mai wird eine komplett überarbeitete Ausstellung eröffnet. Die einzigartige Synthese «Museum und Terrain» entstand unter der Leitung von Jacques Hainard, dem Konservator des Neuenburger Musé d' Ethnographie, das für seine sinnlichen Ausstellungen bekannt ist.
Ausgesprochen sinnlich gestaltet ist auch der Rundgang durch die Asphaltminen mit sieben Stationen. Er wird ähnlich erlebt wie das Lesen eines spannendes Buches: Visuelle und akustische Informationen verraten nicht alles und regen dadurch die Fantasie an. Besucherinnen und Besucher nehmen am Leben und Arbeiten der Mineure teil; der Rundgang ist eine Reise in eine unbekannte und faszinierende Vergangenheit.
Ein kleines Museum im Hauptgebäude erzählt die Geschichte der Minen. Statt Gold und Silber, wie erhofft, wurde im Val de Travers Asphalt gefunden. Es war der griechische Arzt Eirini d'Eyrinys, der sich 1711 für dessen Abbau interessierte - zu medizinischen Zwecken. Als Belag kommerzialisiert wurde der Asphalt von Travers von einem anderen Mann: Philippe Suchard war nicht nur an Schokolade interessiert, sondern ab 1841 auch am Erdpech von Travers.
Vermutlich wurden der Turm von Babel und die Arche Noah mit Hilfe von Asphalt gebaut; bekannt ist das Material seit 3000 Jahren: Zur Mumifizierung wurde unter anderem Bitumen verwendet. Mit Asphalt wurden früher die Fugen der Galeeren abgedichtet; das elastische Material wird zum Bauen von Brücken benötigt und ist bis heute Bestandteil von Medikamenten.
Ein kleines Museum bietet indessen nicht nur Fakten und die Ausstellung
«Asphalt: heute und morgen», sondern auch Nostalgie. Neben Werkzeug aus verschiedenen Jahrhunderten und Transportern steht hier auch eine lebensgrosse Nachbildung von Colette: Die Arbeiter fühlten sich dem Pferd eng verbunden, das sie in Notfällen verteidigt haben soll.
Bevor sie die eigentlichen Minen betreten, erhalten die Besucher Helm und Lampe. Nach hundert Metern im Eingangsstollen, der Simplon-Galerie, sehen sie das Herz der Kavernen: Ein grosser Kompressor, der mittels Luftdruck die Bohrer zum Fräsen bringt. Wie die Adern in einem Körper reichten die Leitungen bis zum letzten Stollen. Der Führer setzt den einwandfrei funktionierenden Kompressor in Gang; ein unheimliches, tiefes Grollen und Dröhnen erfüllt die Stollen.
Wie von Geisterhand öffnet sich nun das grosse Portal zur eigentlichen Asphaltmine und schliesst sich lautlos hinter den Besuchern. Fortan sind sie auf ihre Taschenlampen angewiesen; auf eine Beleuchtung des Stollens wird bewusst verzichtet. Die Informationen des Gruppenleiters werden ergänzt durch Installationen, Filme und Fotos. Und während 60 Metern von raunenden Sätzen; den «Minen-Erinnerungen» in den Sprachen aller Männer, die hier gearbeitet hatten. Besucher erleben die Stollen auch aus dem Blickwinkel der Mineure: Das Licht ihrer Lampen schweift über Loren und massige Camions, die sich in zwei Richtungen fortbewegen können. Sie nehmen Anteil am harten Leben der Arbeiter, und damit verbunden an der Einführung neuer Werkzeuge, die mit einem einzigen Ziel eingesetzt wurden: Sie sollten nicht die Arbeit erleichtern, sondern die Effizienz des Asphaltabbaus erhöhen. Sie halten bei der «Optik der Ästhetik», einer gigantischen Kaverne, die im fahlen Licht an eine bizarre Tropfsteinhöhle erinnert. Sie entdecken die Mine aus der Sicht eines Historikers, der mittels Objekten, Aufzeichnungen und analytischen Betrachtungen einen neuen Zugang schafft zum entbehrungsreichen Leben der Minenarbeiter. Und schliesslich entdecken sie die Mine aus ihrer eigenen Blickweise: Aus der Sicht der Touristen, die jetzt berühren, ertasten und graben dürfen. Und irgendwann nehmen sie, sensibilisiert durch die eigenartige Atmosphäre, irritiert einen seltsamen Geruch in der feuchten Luft wahr: Es riecht nach Eukalyptus - es duftet nach Asphalt.
Auch im Café des Mines gleich nebenan duftets. Nach Schinken, der - eingewickelt in sieben Lagen Pergamentpapier - vier Stunden in 180 Grad heissem Asphalt gegart wurde. Das saftige und zarte Fleisch war das Festessen der Mineure: Jeweils am 4. Dezember, dem Tag der heiligen Barbara, der Schutzpatronin aller Bergarbeiter. Heute wird dieses Festmahl täglich serviert.
Tipps zu den Minen
LT. Die Ausstellung «Museum und Terrain» wird am Sonntag, 4. Mai, eröffnet. Teile des 600 000 Franken teuren Erlebnisweges können bereits vorher besichtigt werden. Gruppen haben auf Anmeldung täglich Zugang, Einzelpersonen können an Sonntagen ab 14 Uhr an den zweistündigen Führungen teilnehmen. Gruppen bezahlen im Minimum 75 Franken Eintritt. Die Einzeleintritte betragen für Erwachsene 12.50 und für Kinder 7.50 Franken. Autofahrer folgen ab Neuenburg der Beschilderung Pontarlier/Val de Travers; die Minen befinden sich gut signalisiert kurz vor Couvet. Sie verfügen auch über eine eigene Haltestelle für den Zug ab Neuenburg. Anmeldung unter 032 863 30 10.
Die abwechslungsreiche Region des Val de Travers ist ideal für Exkursionen zu Fuss oder mit dem Velo. Empfehlenswert ist die Übernachtung im gepflegten drei-Sterne-Hotel de l'Aigle in Couvet. Reservation unter 032 863 26 44.
Link:
http://www.mival.net/