DGfI Bergbaurevier Zonguldak in der Türkei

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kapl
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Beitrag von kapl »

Wir haben uns verspätet

WAZ
Annika Fischer

Zonguldak. Nichts zu tun: Der Bergbau wird die Menschen von Zonguldak nicht mehr lange ernähren: Ohne Strukturwandel hat die Region am westlichen Schwarzen Meer keine Zukunft.
150 000 türkische Gastarbeiter sind aus Zonguldak ins Revier gekommen. Sie halfen im Bergbau, bis es fast keinen mehr gab, und wenn sie heute die Heimat besuchen, sehen sie: Nun müsste das Ruhrgebiet Zonguldak helfen. Es weiß ja, wie Strukturwandel geht.
Es ist ganz hübsch am westlichen Schwarzmeer, man kommt nur nicht hin. Fliegen geht schnell, aber dann ist man in Istanbul, 350 Kilometer entfernt; dazwischen liegt eine Straße, die heißt "Autobahn", aber ist derzeit nicht mal komplett asphaltiert. Fünf Stunden dauert die Fahrt, zu lang für Touristen, zu beschwerlich für Geschäftspartner.
"Man muss den Flughafen ausbauen", es gibt ja einen, das ist das Credo von Muhammet Balaban, das er vor sich herträgt wie eine Fahne. Balaban ist Vorsitzender im Essener Ausländerbeirat, er kommt aus Zonguldak, und er hat eine Vision: Das Ruhrgebiet, Bergbauregion im Wandel, soll mit Zonguldak, Bergbauregion, die sich wandeln müsste, kooperieren. Balaban denkt an Universitäten, an Unternehmen, an Technologie-Transfer. Und er denkt an das Geld aus Brüssel, das bald in die Türkei fließen wird, "das Revier könnte davon profitieren". Deshalb tat er sich mit Faruk Sen zusammen, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien, lud Vertreter der Gewerkschaften ein, der Ministerien und der Projekt Ruhr und brachte sie nach Zonguldak, um Kontakte zu knüpfen.
Fünf Zechen gibt es dort, eine ist schon zu, 40 000 arbeiten unter Tage. Noch. 4,5 Millionen Tonnen fördern sie im Jahr, aber die Subventionen werden gekürzt, das Stahlwerk krankt. Schon baut die Steinkohle-Gesellschaft Flächen ab, und der Bürgermeister muss sich fragen: "Wie sollen wir unseren jungen Menschen noch Arbeit geben?" Der Mann hat begriffen, dass man nicht mehr "100 Jahre auf die Kohle setzen kann", doch will das nicht jeder hören in der Stadt.
Denn hier ist der Bergbau die ganze Identität. Der Bürgermeister hat eine Kumpel-Figur mit Grubenlampe auf seinem Schreibtisch stehen, der Gouverneur auch, und im Büro des Uni-Rektors hängt das Bild eines Bergmanns an der Wand. Politiker reden von der Zukunft der Kohle, und der Vertreter der türkischen IHK sagt: "Bei uns ist es eine Schande, im Mittelstand zu arbeiten."
Man sieht daran: Diese Stadt kann, sie will sich noch nicht recht trennen von der Kohle, die ihr Aufstieg war und nun schon sichtbar ihren Fall vorbereitet. Professor Vedat Didari hat das kommen sehen. Fünfzehn Jahre mag es her sein, dass der Leiter der Hochschul-Fakultät für Bergbau das erste Projekt ins Leben rief zum Strukturwandel. "Aber sichtbare Erfolge gibt es bis heute nicht." Es gebe Leute, die wollten die Wirklichkeit nicht sehen. Und nun: "Wir haben uns als Region sehr, sehr verspätet." Didari sitzt da, berichtet von der Zukunft, doch als er gefragt wird, wann die Zukunft endlich anfängt, sieht er müde aus. Er hat die Krawatte gelockert, das Hemd geöffnet, und er sagt: "Es gibt noch Hoffnung."
Schließlich liegt die Stadt so schön an der Steilküste, vor sich das blau glitzernde Meer, getupft mit weißen Fischerbooten, hinter sich die grünen Hügel, die ein bisschen aussehen wie Schwarzwald. Sie hat die Universität, die wächst, man will die "Hauptstadt der Bildung" werden. Aber noch gilt Zonguldak den Türken als Kapitale der Arbeit. Die Häuser sehen ärmlich aus, viele wurden ohne Genehmigung hochgezogen. Die Luft riecht nach Heizkohle, der Fluss, ein Rinnsal eher, führt mehr Schmutz als Wasser durch die Innenstadt, und am Ufer des Meeres versperren rostige Fördertürme die Sicht.
"Wer hat das gemacht?", fragt Turan Küçük, fragt es immer wieder, dies ist seine Stadt. Hier hat er gespielt als Kind, hat die Klippen umschwommen im klaren Wasser, hat frischen Fisch geangelt aus dem Fluss. Aber jetzt ist "alles schmutzig", sieht Turan. Man kann den Verfall schon sehen.
Man könnte hier viel tun, mit Kompetenz und Geld, aber der Bürgermeister weiß nicht, wo er anfangen soll. 33 Vorgänger haben es nicht geschafft, den Schwarzbau zu stoppen, Ismail Esref wird es auch nicht schaffen. Unter seiner Stadt buddeln die Bergleute jetzt 500 Meter unter dem Meeresspiegel, das ist schwierig im Felsgestein, zu teuer, und die Kohle ist nicht einmal sehr gut. Esref kann nichts gegen die Bergsenkungen tun, aber auch nichts gegen die Folgen, er kann nur warten: Seit 30 Jahren arbeitet die Politik an entsprechenden Gesetzen. Dass nun Besuch aus dem Ruhrgebiet kam, tut gut: "Einfach mal anderen Menschen von den Sorgen erzählen, das erleichtert."
"Wir wünschen uns so sehr eine Stadt mit glücklichen Menschen, die gern in die Zukunft schauen", hat kurz zuvor der Gouverneur gesagt. Yavuz Erkmen setzt viel Hoffnung in die Hand, die ihm die Deutschen reichten. Sie haben das Angebot zur Zusammenarbeit mit nichts als freundlichen Worten besiegelt, es gibt noch kein Papier, kein Konzept und schon gar kein Geld.
Aber sie haben zugehört, die Deutschen den Türken und die Türken den Deutschen. Sie haben Ideen mitgenommen, hier wie dort, und sie haben sich verstanden. Vielleicht ist das ein guter Anfang.
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