BERGBAU-KONZERN
Schacht-Weltmeister
Der Wismut-Konzern war Uranlieferant der Sowjets und Säule des Sozialismus. Nun gruben sich Historiker durch seine Geschichte. Zwölf Fakten. VON Michael Sellger | 30. Juni 2011 - 08:00 Uhr
© Jan-Peter Kasper / dpa
Die Strecke auf der 180-Meter-Sohle des Schachtes 367 im Sanierungsbetrieb Ronneburg der Wismut GmbH (Archivbild)
Das Erzgebirge strebt nach Weltruhm: Bis 2014 soll die Bergbauregion Unesco-Kulturerbe
werden . Seit Jahrhunderten suchten die Menschen hier nach Schätzen ; zur DDR-Zeit prägte besonders ein Konzern das Bild der Region: Die Wismut gehörte bis 1990 zu den größten Uranförderern der Welt. Drei Jahre lang durchkämmten Historiker und Literaturwissenschaftler nun die Wismut-Archive, lasen Brigadetagebücher und befragten einstige Bergleute. Was sie zutage gefördert haben, präsentierten sie vor wenigen Tagen auf einer Konferenz in Chemnitz – zwölf Schlaglichter.
Uran für den Krieg
Um nach dem Zweiten Weltkrieg im Rüstungswettkampf gegen die USA mithalten zu können, zündeten die Sowjets im August 1949 ihre erste Atombombe. Möglich wurde dies nur durch das Uran aus dem Erzgebirge; der UdSSR mangelte es nämlich an eigenen Vorkommen. Die sozialistische Propaganda feierte das sächsische Uran als »Erz für den Frieden«.
Deckname »Pechblende«
GESCHICHTE
Um den Uranabbau zu verschleiern, benannten die Sowjets das Unternehmen nach dem unverdächtigen Metall Wismut. Im Sprachgebrauch der Kumpel waren auch Synonyme wie »Pechblende«, »Strahlungsträger« oder »Erz« verbreitet.
Huren und Schläger
»Klein Texas« nannten die Einheimischen ihr einst so beschauliches Erzgebirge. Das Uran wurde schnell gebraucht, deshalb wiesen die Arbeitsämter in der Nachkriegszeit alle, die zur Verfügung standen, in die Gruben der Wismut ein – Kriegsheimkehrer und Vertriebene, Gelernte und Ungelernte. 1950 waren es bereits 200.000 Arbeiter; es gab nicht genug Wohnraum und nicht genug zu essen, es fehlte an Toiletten und Waschgelegenheiten. In den Massenunterkünften blühten Glücksspiel und Schwarzhandel. Besonders heiß her
ging es in den Wirtshäusern, dort wurde gepöbelt und geprügelt, gezecht und gehurt. Jeder zehnte Kumpel infizierte sich in den frühen Wismut-Jahren mit Tripper.
Doppelter Lohn für Sowjets
Bessere Lebensbedingungen als die deutschen bekamen die sowjetischen Arbeiter, die in eigenen Siedlungen wohnten. Außerdem wurden sie doppelt bezahlt – in Rubel und in Ostmark.
Weniger Lohn für Frauen
Bei der Wismut gab es nicht nur Bergmänner, sondern auch Bergfrauen. Die Frauen waren dort allerdings vor allem Lückenfüller. In den ersten Nachkriegsjahren schufteten Tausende von ihnen unter und über tage, weil es überall in Deutschland an Männern fehlte. 1948 war etwa ein Fünftel aller Kumpel weiblich, später sank der Frauenanteil auf sieben Prozent. Die offizielle Devise »Gleicher Lohn für alle« galt nur für alle Männer. Frauen verdienten unter dem Vorwand geringerer Leistungsfähigkeit deutlich weniger als ihre Kumpel
und machten seltener Karriere: Weibliche Kader blieben während 45 Jahren Wismut die absolute Ausnahme.
Privilegien gegen Revolte
Kurz vor dem Mauerfall attestierte die Stasi den Kumpel, dass sie nicht am Revolutionsfieber erkrankt waren. Schon 1953, während des Arbeiteraufstandes, blieb es bei der Wismut ruhig. Davor allerdings kam es zu einer frühen Revolte. 1951 stürmten Bergarbeiter eine Polizeiwache und ein Gefängnis, befreiten zwei Insassen, verprügelten Polizisten und beleidigten Funktionäre. Walter Ulbricht untersagte der Staatsmacht, auf die Arbeiter zu schießen. Lieber stellte man die Wismut-Männer mit materiellen Privilegien ruhig.
Der begehrte »Kumpel-Tod«
GESCHICHTE
Als 1959 eine Butterkrise für lange Warteschlangen und Unmut sorgte, war im Süden der DDR buchstäblich alles in Butter: Die Versorgung der Bergarbeiter hatte Priorität. Und auch sonst genossen die Kumpel diverse Privilegien. Sie mussten nicht so lange auf bestellte Autos warten wie andere, sie bekamen Prämien und Zulagen – und den begehrten »Kumpel-Tod«, steuerfreien Schnaps. Ministerpräsident Otto Grotewohl hatte sich Anfang der fünfziger Jahre ein passendes Motto ausgedacht: »Ich bin Bergmann – Wer ist mehr?«
Badewanne Zinnowitz
Das heutige Baltic Sport- und Ferienhotel auf Usedom ist ein Relikt der Wismut. Zu DDR-Zeiten hieß der Klotz im Badeort Zinnowitz Roter Oktober. Der Großbetrieb hatte die Besitzer diverser Hotels enteignen lassen, um am Ostseestrand Platz für Tausende Kumpel zu schaffen. Wer bei der Wismut war, war sommers in Zinnowitz. Und das war nicht der einzige eigene Machtbereich der Wismut: Wer erkrankte, ging in ein Wismut- Krankenhaus; wer lesen wollte, in eine Wismut-Bibliothek; wer Lust auf Theater, Konzerte oder Lesungen hatte, in die Wismut-Kulturhäuser. Finanziert wurde der Mikrostaat durch den Steuerzahler.
Versteckte Opfer
Bei allen Privilegien: Die Kumpel lebten gefährlich. Allein von 1949 bis 1955 starben mehr als 900 Bergarbeiter bei Unfällen. In den ersten Jahren wateten sie oft mit Holzschuhen durch knietiefes Grubenwasser, es mangelte an Helmen, Schutzkleidung und Atemmasken. Am schlimmsten aber war der Staub, der sich wie Zement in den Lungen festsetzte.
Weil er mit radioaktiven Partikeln belastet war, erkrankten viele Grubenarbeiter oft noch Jahrzehnte später an Lungenkrebs. In der DDR wurden rund 5000 Fälle als Berufskrankheit anerkannt, nach der Wende kamen Tausende hinzu.
Von der Grube in die Bundesliga
Vergangene Saison sind sie aufgestiegen, die Kicker vom FC Erzgebirge Aue spielen seit letztem Jahr wieder in der Zweiten Fußballbundesliga. Früher hieß die Mannschaft BSG Wismut Aue und war, was Bayer Leverkusen heute ist: eine Werks-Elf. Sie spielte erfolgreich in der Oberliga. Dreimal war sie DDR-Meister. Nach der Wende rutschte die umbenannte Mannschaft bis in die dritte Liga. Ein Spiel von Wismut Aue ging in die Fußball-Geschichte ein: die deutsch-deutsche Begegnung mit dem 1. FC Kaiserslautern 1956 vor 125000 Zuschauern. Bei einem Sprung nach vorn schoss Weltmeister Fritz Walter den Ball mit der Hacke des nach hinten gestreckten Beins in Wismuts Tor – sein legendärer Hackentritt. Die erfolgreiche Vergangenheit schimmert zuweilen noch durch: Fans beschwören in ihren Schlachtgesängen gekreuzte Hämmer und das »große W«.
Durchsetzt von der Stasi
Ncht immer operierte die Stasi im Verborgenen: Bei der Wismut hatten mehr als 500 hauptamtliche »Offiziere im besonderen Einsatz« Schlüsselpositionen inne, der
GESCHICHTE
Geheimdienst gehörte zur offiziellen Hierarchie. Eine seiner Aufgaben war der Schutz vor Industriespionage. Mehr als tausend Spitzel erfassten zudem die Stimmung in der Belegschaft. Als in den siebziger Jahren die Uranvorkommen weniger wurden, schwand auch das Interesse der Stasi an der Wismut.
Imagekosmetik dank Zensur
Als 2007 der Roman Rummelplatz von Werner Bräunig erschien, wurde er in den Feuilletons hymnisch gefeiert. Die Geschichte gab es da schon 42 Jahre – als Fragment, weil Bräunig den Roman nach dessen Verbot nicht zu Ende schrieb. Die SED verübelte ihm seine kritische Auseinandersetzung mit der Anfangszeit der Wismut. Wer am Image des sozialistischen Schwerstarbeiters krittelte, musste mit Verboten rechnen – wie auch Konrad Wolf, dessen Defa-Film Sonnensucher von 1958 nie in die Kinos kam. Wolf stellte Bergarbeiter als Schläger, Altnazis, Kriecher und Denunzianten dar. Erst 1971 wurde der Film im Fernsehen ausgestrahlt.
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Ein Artikel vom 30.06.2011 aus der ZEIT ONLINE
Glück Auf
Horst