Mit Grips durchs Gestein

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Nobi
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Mit Grips durchs Gestein

Beitrag von Nobi »

Mit Grips durchs Gestein

Von Christian Wüst

Einen Tunnel von einem Kilometer Länge an beiden Seiten zu beginnen und sich in der Mitte zu treffen - das gelang vor über 2500 Jahren. Fachleute staunen noch heute.

Drei der gewaltigsten Bauwerke aller Griechen", schrieb Herodot, stünden auf der Ägäis- Insel Samos. Der Geschichtsschreiber nannte einen Tempel und einen Hafendamm, zuallererst jedoch eines der denkwürdigsten Exempel technischer Intelligenz.

Lage und Abmessungen des Konstrukts gab er sehr präzise an und lieferte damit die einzige Quelle, die zweieinhalb Jahrtausende später zu dessen Auffindung führte. Im späten 19. Jahrhundert entdeckten Archäologen die verschütteten Eingänge eines komplett erhaltenen Tunnels. Er ist inzwischen wieder begehbar, misst etwa 1,80 Meter in der Breite und Höhe - und 1036 Meter in der Länge.

Der Verlauf des Stollens bestätigte dann auch die eigentliche Sensation. Tief im Berginnern beschreibt der Gang eine Folge vielsagender Winkel und Kurven (siehe Grafik). Sie lassen nur eine Interpretation zu und bestätigen damit eine weitere Aussage Herodots: Der Tunnel ist "von beiden Öffnungen aus" gegraben worden. Die Röhren haben sich unter der Erde getroffen.

Das Tiefbaumonument zeugt mithin von enormer messtechnischer Finesse und rechnerischer Kompetenz der Baumeister des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts. Etwa um das Jahr 550 hat ein Architekt dieses Projekt in Angriff genommen, von dem Herodot immerhin den Namen erwähnt: Eupalinos. Viel mehr ist nicht bekannt von diesem Mann, der mit grandiosem Grips den Weg durchs Gestein fand.

Ob Eupalinos aus einer der Philosophenschulen kam oder als Autodidakt das knifflige Bergbauprojekt anpackte, ist nicht bekannt. Fest steht: Er löste mit seiner Berechnung ein großes Problem. Der Tunnel wurde als Wasserleitung für eine schnell wachsende Stadt, das heutige Pythagorion, offenbar dringend gebraucht.

Mit einem oberirdischen Aquädukt den Berg, der dem Projekt im Weg stand, zu umgehen, wurde verworfen - möglicherweise wegen der Anfälligkeit solcher Konstruktionen für Sabotage, etwa bei Belagerungen.

So blieb nur der Weg durch den Kalkstein: Gut einen Kilometer lang und sehr beschwerlich. Nach heutiger Schätzung schafften Arbeitssklaven mit Hammer und Meißel damals etwa 15 Zentimeter pro Tag. Das ergibt bei einem Kilometer etwa 20 Jahre beim Durchstoß in einer Richtung - oder nur 10, wenn von beiden Seiten gleichzeitig gegraben wird. Eupalinos wagte den schnellen Weg.

Die Messtechnik für eine solche Unternehmung war damals durchaus vorhanden und im Prinzip simpel. Der Ingenieur Hermann Kienast, Autor der ausführlichsten archäologischen Publikation über den Eupalinos-Tunnel, beschreibt eine der möglichen Lösungen mit den damals verfügbaren Instrumentarien: Um die Längsrichtung zu ermitteln, habe Eupalinos "mit Fluchtstangen eine Gerade über den Berg abgesteckt". So konnte die Vortriebsrichtung durch Peilung mit dem bloßen Auge bestimmt werden.

Doch das war nicht alles. Eupalinos musste sicherstellen, dass beide Röhren exakt auf der gleichen Höhe liegen. Dazu bedurfte es einer präzisen Niveaubestimmung über mehrere Kilometer um den Berg herum. Als eines der Schlüsselinstrumente für solche Arbeiten nennt Kienast den Chorobat, einen sechseinhalb Meter langen Holzbock, der sich mit Loten, manchmal unterstützt durch einen zusätzlichen Wasserhorizont im Tragebalken, exakt in die Horizontale bringen ließ. Über den Balken hinweg peilten die Geometer durch die Landschaft.

Als notorische Migranten hatten die Griechen die Landvermessungstechnik schon weit entwickelt. In großen Teilen des Mittelmeerraums gründeten sie Kolonien, jeweils beginnend mit der sauberen Vermessung und Aufteilung der eroberten Grundstücke.

Nirgends jedoch mussten dabei so präzise Ergebnisse herauskommen wie bei der Tunnelplanung auf Samos. Schon bei einem durchgehenden Peilungsfehler von einem halben Winkelgrad auf einer etwa drei Kilometer langen Bergumgehung hätten sich die Tunnelröhren um nahezu 30 Meter in der Höhe verfehlen können. Doch nichts dergleichen geschah. Mit phänomenaler Exaktheit begannen die Bergleute auf beiden Seiten den Klopfgang ins Gestein. "Wohl nie zuvor", preist Kienast den antiken Montanpionier, "hat ein Mensch ein derart hohes und vor allem langfristiges Risiko auf sich genommen - im ausschließlichen Vertrauen auf seine Ratio."

Eupalinos, davon kündet das Bauwerk beredt, war kein Hasardeur. So ließ er etwa die Röhre waagerecht verlaufen. Das nötige Gefälle für die Nutzung als Wasserleitung enthält erst ein seitlich in den Tunnelboden gehauener Graben, der am Ausgang neun Meter tief ist. Schon die Hauptröhre schräg als Wasserweg verlaufen zu lassen, hätte deutlich weniger Aufwand bedeutet, aber auch einen messtechnischen Husarenritt. Das Risiko, dass dabei am Ende alles schieflaufen könnte, erschien dem Baumeister wohl zu hoch.

Seine Vorsicht zeigt sich auch noch an anderer Stelle: Der Südstollen folgt auf 420 Metern abweichungsfrei der Ideallinie bis zu dem Ort, den Eupalinos offenbar als Treffpunkt ausersehen hatte: Er liegt nicht auf halber Länge, sondern exakt unter dem Gipfelpunkt der Fluchtstangenlinie auf dem Bergrücken, dem einzigen Punkt, der sich von beiden Seiten anpeilen ließ. Höchstmögliche Messgenauigkeit war dem Architekten an dieser Stelle wichtiger als vielleicht ein weiteres Jahr Zeitersparnis.

Mit etwas Fortune wäre dem vorsichtigen Planer ein schnurgerader Tunnel gelungen, dem keiner mehr ansehen könnte, wie genial er von beiden Seiten geschlagen worden war. Doch Eupalinos hatte Pech - und damit eine weitere Herausforderung für seinen Ingenieurverstand.

Der Nordstollen war noch nicht zur Hälfte in den Berg getrieben, als brüchige Gesteinsschichten eine Abweichung vom idealen Kurs erzwangen. Jetzt wurde es richtig schwer. Die Ausweichroute verläuft in einem stumpfen Winkel nach Westen und wieder zurück. Sie sollte zwei Seiten eines gleichschenkligen Dreiecks beschreiben, was jedoch misslang. Am Ende der Umleitung standen die Hauer gut 20 Meter zu weit im Osten.

Kienast sieht die Ursache unter anderem in einem "minimalen Vortriebsfehler von 0,60 Grad", der beim Bau des Nordstollens von Beginn an unterlaufen war. Hinzu kommt ein elementares Problem der Untertagearbeit. Beim Hochbau kann erst gemessen und am Maß entlang gebaut werden, beim Tiefbau ist es umgekehrt. Da bleibt oft nur die Möglichkeit, gemachte Fehler zu korrigieren.

Und genau das hat Eupalinos auf virtuose Weise getan. Zahlreiche Markierungen an den Wänden künden von seiner akribischen Maßarbeit. Ihm war klar, dass er zu weit nach Osten gedriftet war, darum ließ er am Ende der Südröhre einen Fangstollen in diese Richtung schlagen.

Der von Norden kommende Teil holt noch einmal Richtung Westen aus, um dann in Ostrichtung wie ein Angelhaken in den Fangstollen einzufahren: Volltreffer!

Eupalinos errang einen großen Etappensieg für die rationale Methodik. Das Bauwerk diente etwa 1000 Jahre als Wasserleitung. Es war "ganz offensichtlich am Zeichentisch entworfen" worden, schreibt Kienast, und das Zusammentreffen der Röhren "nicht glückliche Fügung, sondern Ergebnis eines wohldurchdachten Entwurfs".

Quelle: SPIEGEL ONLINE http://www.spiegel.de/spiegelspecialges ... 95,00.html

Auf SPIEGEL ONLINE gibt es auch noch zwei BIldchen zum Artikel.
GLÜCK AUF | NOBI

Der Berg ist frei.
Wo eyn man eynfahrn will
mag her es thun mit rechte.


w w w . b e r g b a u s h i r t . d e
Schlacke
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Re: Mit Grips durchs Gestein

Beitrag von Schlacke »

Zu der angeführten Litratur noch einige weitere Zitate (Auswahl):

Grewe, K.: Licht am Ende des Tunnels. Planung und Trassierung im antiken Tunnelbau. Mainz: 1998, 218 S. Buchbesprechung im Anschnitt, H. 4/200, S. 169. Reich bebildert und ausführliche Literaturhinweise zu einzelnen Bauwerken.

Grünberg, K.: Antiker Bergbau und der Stollen des Eupalinos auf Samos. in: Bergbau, Bd. 47, H. 4, S. 179-181, Gelsenkirchen: 1996

Kastenbein, W.: Der Stollen des Eupalinos auf Samos. in: Der Anschnitt, Jg. 14, H. 1, S. 28-33, Bochum: 1962

Glückauf!

Elmar Nieding
...die unterirdischen Grubengebäude in ihre Schreibstube bringen...
Héron de Villefosse (1774-1852), Bergingenieur im Dienste Napoleons.
(H. Dettmer, 2014)
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markscheider
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Re: Mit Grips durchs Gestein

Beitrag von markscheider »

Sehr interessant!
Sollte ich mal ganz viel Zeit haben, dann werde ich diese Bücher mal reinziehen.
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