Wanderpfeilerbruchbau

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Ingo
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Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Ingo »

Hallo,

eine Frage an die fachlich versierten Bergbauspezialisten: Kennt jemand eine Abhandlung über die Einführung und die Beurteilung des Wanderpfeilerbruchbaus (der kam um 1929 aus England und wurde zunächst im deutschen Kohlebergbau angewandt) aus wissenschaftlicher Sicht? Die preußischen Bergassessoren in der Staatsverwaltung sollen dem Verfahren skeptisch gegenüber gestanden haben. Einige Bergbaupraktiker (z.B. Bornitz in Glückauf 1948 S. 845-848 oder Spannagel in Glückauf 1938 S. 953-956) haben zwar über ihre Erfahrungen als Leiter von Eisenerzbergwerken mit diesem Abbauverfahren berichtet, aber eine wissenschaftliche Aufarbeitung (Geschichte der Einführung, Beurteilung von Vor- und Nachteilen, Gefährlichkeit etc.) ist mir nicht bekannt.

Die Bücher von Reuther (Lehrbuch 11. Auflage und Einführung) bringen in dieser Hinsicht rein gar nichts. Ist jemandem eine historische bzw. zeitgenössisch wissenschaftlich/neutrale Behandlung des Themas bekannt?

Freundliche Grüße

Ingo
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Fahrsteiger
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Fahrsteiger »

Hallo Ingo,
der Wanderpfeilerbruchbau war in allen Steinkohlenrevieren weit verbreitet. Ich habe 1970 mit meiner Lehre angefangen und durfte noch beide Varianten - Eisenbahnschwellen oder Eisenbahnschienen - selbst in die Tat umsetzen. Auch im Oelznitzer Revier wurde Wanderpfeilerbruchbau praktiziert. Im Prinzip war es nichts anderes als der heutige Bruchbau mit Schilden - nur eben händisch und mit Rückgewinnung des eingesetzten Ausbaumaterials. Übrigens hießen die ab 1960 eingesetzten ersten hydraulischen Ausbauböcke der Fa. Gullick aus England ebenfalls Wanderpfeiler. Importiert wurden sie von Becorit. Dieser Begriff für diese Ausbauart hielt sich bis weit in die 70er Jahre.
Glück Auf
Horst
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Gullick - Becorit 6-Stempel-Wanderpfeiler.JPG
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Ingo
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Ingo »

Danke Horst, für den Hinweis. Kann man also davon ausgehen, dass sich der Wanderpfeilerbruchbau grundsätzlich bewährt hat und keineswegs überdurchschnittlich unfallträchtig war? Ich stehe momentan vor dem Problem, eine sehr hohe Unfallrate in einem Bergwerk erklären zu müssen: In Blumberg (Baden) hat man von 1934 bis 1942 Eisenerz abgebaut und dabei eine überdurchschnittlich hohe Rate tödlicher Unfälle gehabt. 1940 kam dann der verantwortliche Bergbaudirektor vom bislang betriebenen Wanderpfeilerbruchbau ab und ging zum zum Langfront-Pfeiler-Bruchbau über. Er gab zwei Begründungen dafür an: (1.) höhere Abbauleistungen und (2.) eine höhere Sicherheit. Ich stehe jetzt vor der Frage, ob die extrem hohe Unfallrate in Blumberg der Abbaumethode geschuldet war oder ob andere Ursachen maßgeblich waren.

Freundliche Grüße

Ingo
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markscheider
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von markscheider »

Ohne jetzt die Situation näher zu kennen: eine Abbaumethode muß natürlich immer der jeweiligen Lagerstättengeologie angepasst sein. Mit anderen Worten, daß der Wanderpfeilerbruchbau in verschiedenen Steinkohlenwerken funktioniert hat, heißt noch lange nicht, daß er anderswo im Erz genauso funktioniert.
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AdM_Michael
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von AdM_Michael »

Die Unfallrate ist die eine Sache, aber gibt es auch noch weitere Informationen zu den Unfällen (Ort, Ursache, ...)?
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Jörn
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Jörn »

Ich muss gestehen, dass ich auf dem Schlauch stehe. Weder im Stoces noch im Weltaltlas der bergmänischen Abbauverfahren habe ich den Wanderpfeilerbruchbau gefunden. Hat das Verfahren auch einen englischen Namen? Dann könnte ich noch im SME-Handbuch nachschauen. :nixdafür:

Glückauf

Jörn
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Schlacke
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Schlacke »

Nach Einsatz im Erzbergbau, ein Hinweis aus der Steinkohle:

Arbenz, U.: Erfahrungen beim Abbau mit Reihenstempelbruchbau, besonders auf dem Steinkohlenbergwerk Heinitz (Saarland) und Vergleich zwischen Reihenstempel und Wanderpfeilerbruchbau. in: Glückauf, Jg. 78, 1942, S. 373-377, 392-396

Zur Unfallhäufigkeit im Doggererz bei Blumberg schreibt Walcz (1983), S. 71 ff. "Zu der hohen Unfall- zifferkam es vor allem durch die Beschäftigung der überwigend 'bergfremden' Belegschaft, die - kunterbunt zusammengewürfelt - unter schwierigen betrieblichen und sozialen Umständen mußte"
Statistische Zahlen folgen im weiteren Text.
Quelle: Walcz, G.: Doggererz in Blumberg - Das ungewöhnliche Schicksal einer Stadt, ein Kapitel deutscher Bergbaugeschichte, Konstanz: 1983, 101 S.

Glückauf!

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Ingo
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Ingo »

Danke, Leute, für die Hinweise. Was Walcz betrifft, so ist sein Buch allerdings so eine Sache. Er hatte eine blühende Phantasie (Journalist halt), der er gelegentlich freien Lauf ließ. Vieles hält der Nachprüfung durch die Akten nicht stand. Die Belegschaft in Blumberg bestand bis Ende 1938 nahezu ausschließlich aus Deutschen, erst dann kamen 450 Italiener, ab 1940 zahlreiche französische Kriegsgefangene und polnische Zwangsarbeiter hinzu. Es gab eine gewaltige Personalfluktuation, die ganz sicher zur Unfallhäufigkeit beigetragen hat. Mir geht es bei meiner Überlegung aber ganz speziell darum, ob die Abbaumethode einen Beitrag zur hohen Unfallrate geleistet hat - oder nicht.

Freundliche Grüße

Ingo
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Fahrsteiger »

@ Jörn angeblich soll es temporary chock oder timber crib heißen. So richtig glauben kann ich es nicht.
Anbei eine Beschreibung über den Einsatz von Wanderpfeilern aus "Gelsenkirchener-Geschichten".
Glück Auf
Horst
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von markscheider »

Ich habe mit meinem Opa gesprochen. Im Zwickauer Revier war die Methode üblich bis etwa 60er Jahre. Danach wurde im wesentlichen Blasversatz anstelle von Bruchbau angewandt. Abbauverfahren: streichernder Strebbau mit streichendem Verhieb. Die Pfeiler standen in Abständen von 2-3 m parallel zur Fahrgasse, das Dach nach den Pfeiler wurde zu Bruch geschossen, um die Brüche besser zu kontrollieren. Die Pfeiler waren aus Holz, von Holz/Stahl wie oben hat er nichts gesagt. Die Pfeiler wurden ebenfalls geraubt, nachdem die Gasse gerückt war und dann wieder aufgebaut, solange das Holz verwendbar war. Von diesem 'Mitwandern' mit der Abbaufront haben sie wohl auch den Namen.

Im Boki habe ich auch noch was dazu gefunden: Wanderkasten.
Karlheinz_Rabas
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Re: Wanderpfeilerbruchbau

Beitrag von Karlheinz_Rabas »

Ich habe 1958 noch selbst auf der Zeche Zollverein Schachtanlage 1/2/8 in einem Kohlestreb (180 m lang, 90 cm hoch) gearbeitet, in dem Pfeilerbruchbau betrieben wurde.
Ausgebaut wurde noch in Holz und die Kohle mit einem Strebband zum Strebausgang befördert. Zur Sicherheit wurde neben dem Strebband alle 3 – 4 Meter ein Pfeiler aus ca. 50 cm langen, schweren Eisenbahnschienen errichtet. Eine Schiene wurde als Schlagschiene angeordnet. Zum Hangenden hin wurde der Kreuzstapel mit Holz verkeilt.
Die Förderschicht wechselte zwischen Morgen- und Mittagschicht. Mein Kumpel und ich gingen seinerzeit zur Bergvorschule und da deren Unterricht am Nachmittag stattfand, mussten wir zwischen Morgen- und Nachtschicht wechseln. Unsere Aufgabe in der Nachtschicht war es, nach dem Rücken des Bandes ca. 25 – 30 Pfeiler umzusetzen.
Dazu wurde die Schlagschiene herausgeschlagen, so dass der Pfeiler zusammenbrach. Die Schienen wurden ca. 1,25 m in Richtung Kohlenstoß geworfen und dort der Pfeiler wieder aufgebaut. Zur Sicherheit blieben im ausgekohlten Feld einige Holzstempel stehen, die nach Errichtung des umgesetzten Pfeilers mit einer Axt für den besseren Bruch eingekerbt wurden.
Das ganze war eine sehr schwere und muskelbildende Arbeit.
Karlheinz Rabas
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