Die Wismut-Episode in Dittrichshütte

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Nobi
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Die Wismut-Episode in Dittrichshütte

Beitrag von Nobi »

Wer damals beim 1. Altbergbaukolloquium nach der Besichtigung des Mellestollens noch mit zu den alten Griffelschieferbrüchen mitgekommen war, konnte auch am Ortseingang von Dittrichshütte den Stollen sehen. Wir hatten dort kurz angehalten.

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Die Wismut-Episode in Dittrichshütte

Von 1950 bis 1953 schürften bei dem kleinen Ort im Thüringer Wald Tausende Bergleute nach dem begehrten Uranerz
Von Juliane Schütterle


1945 kamen sowjetische Ingenieure und Geheimdienstmitarbeiter ins besetzte Erzgebirge, um nach einem Rohstoff von hoher politischer Bedeutung zu suchen: Uranerz für das sowjetische Atombombenprojekt. Nachdem man fündig geworden war und 1947 die "Sowjetische Aktiengesellschaft Wismut" gegründet hatte, konzentrierte sich der der Bergbaubetrieb zunächst auf den Raum Johanngeorgenstadt, Aue, Schneeberg, Freiberg und Schlema und weitete sich später auf den Ostthüringer Raum um Ronneburg und Gera aus.

1949/50 streckte die Wismut AG ihre Fühler auch nach Südostthüringen und suchte u.a. im Thüringer Schiefergebirge nach "Erz für den Frieden". Als die Such- und Schürfexpedition eine wirtschaftlich vielversprechende Radioaktivität feststellte, begannen im Sommer 1950 in Dittrichshütte die Abbauarbeiten. Auch Steinach und Schleusingen kamen in den Folgejahren als kleinere Lagerstätten hinzu.

Ähnlich wie im Erzgebirge fünf Jahre früher, wurde nun die Region um Saalfeld/Rudolstadt nahezu überfallartig vom Uranbergbau in Beschlag genommen. Der Einzug der Wismut AG brachte tiefgreifende strukturelle und soziale Veränderungen mit sich, deren Auswirkungen teilweise bis heute noch zu sehen und zu spüren sind.

Zunächst einmal mussten fast 15 000 Wismut-Kumpel in den umliegenden Städten und Dörfern untergebracht werden; die Bewohner der Region sahen sich mit Zwangseinquartierungen und Beschlagnahme ihrer Flurstücke konfrontiert.

Wie viele Bergarbeiter insgesamt im 400-Seelen-Dorf Dittrichshütte Unterkunft hatten, ist nicht mehr zu ermitteln, doch in fast jedem Haushalt war mindestens ein Kumpel untergebracht. Da private Einquartierungen dem Zustrom der Bergleute bei weitem nicht gerecht werden konnten, baute man im Verlaufe der nächsten Monate Massenunterkünfte, die sogenannten "Berliner Häuser", am Ortsrand von Dittrichshütte in Richtung Birkenheide. Oberhalb des Ortes, an der Windmühle, befand sich der Eingang des Hauptschachtes Nr. 345 (heute Sportplatz und Turnhalle), weshalb man die Verwaltungsgebäude der Wismut AG sowie kleinere Häuser für Partei und Gewerkschaft an dieser Stelle errichtete, die noch heute als Wohnhäuser genutzt werden.

Auch Einheimische wurden für die Arbeit im Uranbergbau geworben, und die astronomischen Verdienstmöglichkeiten bei der Wismut - mit Prämien und Zuschlägen überstieg der Lohn das Dreifache dessen in volkseigenen Betrieben - überzeugten viele jungen Männer (und einige Frauen) der umliegenden Dörfer, die schwere und gesundheitsschädigende Arbeit über und unter Tage zu verrichten.

Innerhalb kürzester Zeit entstanden neben den Unterkünften auch kleine Verkaufsstellen der Handelsorganisation Wismut, in denen Wismut-Angehörige ein im Gegensatz zum volkseigenen Handel breites und seltenes Warensortiment vorfanden. "In der Werksküche konnten die Kumpel mittags und abends zwischen zwei verschiedenen warmen Mahlzeiten wählen, die Qualität der Speisen und deren Reichhaltigkeit waren vorzüglich", erinnert sich ein Zeitzeuge. Auch für die kulturelle Erbauung der Bergarbeiter wurde gesorgt: Schon 1951 war das Kulturhaus im stalinistischen Zuckerbäckerstil fertig; nach langem Leerstand dient es heute im Kinder- und Jugenderholungszentrum in der ehemaligen Wismut-Siedlung als Veranstaltungsstätte.

Dass die Wismut AG der finanziell und materiell privilegierteste Industriebetrieb in der DDR war, spiegelte sich auch im Programm des Kulturhauses wieder, in dem es nicht nur eine große Bibliothek gab, sondern fast jeden Abend Musik- und Tanzveranstaltungen stattfanden, zu denen auch die übrige Bevölkerung geladen war. Volksmusikabende, Kabarett und Variete standen auf dem Programm - und manchmal ließ man sich sogar vom imperialistischen Feind unterhalten, der Chiemseer Bauernbühne zum Beispiel.

Da der wertvolle Rohstoff Uranerz in Dittrichshütte nur abgebaut und nicht aufbereitet wurde, baute man 1951/52 die 8 km lange Landstraße nach Bad Blankenburg mit Granitpflasterstein aus, um den Rohstoff in Lastwagen zum dortigen Bahnhof bringen zu können. Auf diesem Pflaster fahren noch heute die Einwohner der Saalfelder Höhe in Richtung Stadt, erst in den nächsten Jahren wird die Straße vollständig asphaltiert sein.

Da die Unterkunftssituation in Dittrichshütte, Braunsdorf und Birkenheide mehr als unbefriedigend war, wurde bis 1953 neuer Wohnraum in Bad Blankenburg geschaffen. Die Wohnbedingungen der zweistöckigen Berliner Häuser" in Dittrichshütte - aus Holz und schlecht beheizbar - schilderte ein Gewerkschaftsfunktionär 1952 auf einer Sekretariatssitzung: "Die Schränke sind z. T. ohne Türen. Es herrschen zum Teil untragbare Zustände, 8 Betten in einem kleinen Raum, nur schmale Spinde, in denen die Kumpel ihre Sachen nicht unterbringen können." Auch die Arbeitsbedingungen der Bergleute waren völlig unzulänglich: durch das Fehlen von Kauen (Umkleideräume in der Bergmannssprache) mussten die Kumpel den teilweise kilometerlangen Nachhauseweg mit nasser und verschmutzter Arbeitskleidung antreten. Da bis 1952 ausschließlich trockengebohrt wurde, waren die Untertagearbeiter einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Messwerte für Staub- und auch Strahlenbelastung der Dittrichshütter Bergleute liegen allerdings nicht vor.

Mit der " Sobik-Siedlung" (benannt nach einem 1952 verstorbenen Bergarbeiter aus Gebra) am Ortsausgang Bad Blankenburg in Richtung Unterwirbach schuf man 800 neue Wohnungen, die von den Kumpels mit einer 25prozentigen Normerhöhung honoriert wurden. Gleichzeitig entstanden in der Kurstadt Ledigenheime und Versorgungseinrichtungen der Wismut-HO. Das ehemalige Sanatorium und heutige Hotel "Zum Goldberg" war zunächst als Bergarbeiterkrankenhaus eingerichtet und später für den Feriendienst der Industriegewerkschaft Wismut als Erholungsheim genutzt worden.

Wenn auch die Bevölkerung der Region Saalfeld/Rudolstadt von den infrastrukturellen Neuerungen der Wismut-AG durchaus profitierte, blieben doch die sozialen Probleme nicht aus - vor allem in Hinblick auf das dicht gedrängte Zusammenleben von Einheimischen und zugereisten Bergarbeitern. Die Kumpel waren privilegiert, wurden besser versorgt und verdienten das Vielfache von dem eines normalen Industriearbeiters oder gar Bauern. Nicht wenige der zugezogenen Kumpel kamen aus dem kriminellen Milieu und ihre Rauflust war legendär. Frei nach dem Wahlspruch "Ich bin Bergmann - wer ist mehr?" warfen sie in Kneipen und Tanzsälen mit dem Geld um sich, bekamen den besten Schnaps und die schönsten Frauen und oft endete ein feucht-fröhlicher Abend mit Streitigkeiten und Schlägereien. Alkohol spielte eine ständige Rolle bei den Bergleuten, und die staatlich geregelte Ausgabe akzisefreien Trinkbranntweins als "Belohnung" für die gesundheitsschädigende Arbeit unter Tage tat ihr übriges. Doch auch der aufgestaute Unmut der Kumpels selbst über unhaltbare Wohnverhältnisse und harte Arbeitsbedingungen führte zu gewalttätigen Vorfällen, die schließlich ihren Höhepunkt im " Saalfeld-Aufstand" 1951 fanden.

Am 16. August jenes Jahres, einem Freitag und Zahltag bei der Wismut, wurden die Bergarbeiter in Lastwagen nach Saalfeld gefahren, um sich ihren Lohn auszahlen zu lassen. Unter Einfluss von Alkohol begannen einige Kumpel auf dem Marktplatz zu randalieren, Schaufensterscheiben einzuwerfen und Passanten zu belästigen. Das Eingreifen der Volkspolizei und die Festnahme einiger Kumpel verschärften die aggressive Atmosphäre, in der auch Frauen eine Rolle spielten. Als ihre Forderungen zur Herausgabe der Gefangenen nicht erfüllt wurden, stürmten etwa 200 von ihnen um Mitternacht das Gefängnis und richteten wilde Verwüstungen an. Die diensthabenden Polizisten, denen der Schusswaffengebrauch untersagt worden war, mussten sich aufs Dach der Wache flüchten, um der Lynchjustiz der auf 3000 Mann angewachsenen, aufgeheizten Menge zu entgehen. Nachdem die Kumpel das Polizeiamt geplündert und alle Papiere, Akten und Schreibmaschinen auf die Straße geworfen hatten, fuhren sie "singend und johlend" (Aktennotiz der Volkspolizei) zurück nach Dittrichshütte. Nur eilig herbeigeholte SED-Agitatoren und der sowjetische Objektleiter in Dittrichshütte konnten die Kumpel mit Aussprachen zur Ruhe bringen. In den nächsten Tagen routierten Polizei und Staatsmacht, um die Ereignisse zu klären; einige Dutzend Bergarbeiter wurden verhaftet, zwölf "Rädelsführer" bekamen Zuchthausstrafen von 8 bis 12 Jahren. Wenn auch die Ausschreitungen der Kumpels aus allgemeinen sozialen Unzufriedenheiten herrührten und sie keine dezidiert politischen Forderungen stellten, so gilt der Wismut-Aufstand durchaus als einer der Vorläufer des 17. Juni 1953, als die Industriearbeiter in der ganzen DDR gegen "ihre" Regierung auf die Straße gingen.

So schnell und intensiv die Wismut AG in die Region eingezogen war, so rasch erfolgte auch der Rückzug des Industriebetriebes. Schon 1953 gingen die Erzvorräte zur Neige und die ausschließlich auf wirtschaftlichen Gewinn orientierte Wismut begann ihre Zelte abzubrechen. Waren 1953 noch über 1000 Bergmänner (und -Frauen) allein in Dittrichshütte beschäftigt, arbeiteten 1954 gerade noch 685 Kumpels in Objekt 41, wie die gesamte Lagerstätte bezeichnet wurde. Im selben Jahr wurden die Abbauarbeiten wegen Unrentabilität eingestellt.

Die Wismut hinterließ ein Nutzungsgebiet von 43 km² forstwirtschaftlicher und 238 km² landwirtschaftlicher Fläche; in vier Jahren intensiven Erzabbaus wurden 112 Tonnen reinen Urans für die sowjetische Atombombe gewonnen. Neben Kulturhaus, Wohnsiedlung und Pflasterstraße vererbte die Wismut 14 Hektar Haldenfläche, 15 565 m² Haldenmasse (die in die Schächte einplaniert wurde) und eine völlig verschmutzte Schwarza mit aussterbendem Fischbestand. Trotz der Sicherungs- und Verwahrarbeiten des Revieres Zobes kam es in den folgenden Jahren immer wieder zu Ein- und Durchbrüchen ehemaliger Abbaublöcke.

Zehn Jahre später führte die Wismut AG erneut Messungen im Gebiet des ehemaligen Objektes 41 durch, da neue und modernere Geräte auf bessere Ergebnisse hoffen ließen - allerdings erfolglos.

Mit der seit 1953 fast leerstehenden Wismut-Siedlung am Ortsausgang von Dittrichshütte plante der Zentralvorstand der Industriegewerkschaft Wismut eine "Pionierrepublik" zu errichten, die beispielhaft für die gesamte DDR werden sollte. Diese Pläne zerschlugen sich allerdings aus finanziellen Gründen, und das Objekt wurde dem Ministerium des Inneren für die Grenztruppen der DDR zur Verfügung gestellt.

Heute dienen die sanierten "Berliner Häuser" als Unterkünfte für Familien und Schulklassen im Kinder- und Jugenderholungszentrum, das touristischer Mittelpunkt des Ortes ist.

Die Autorin ist Jahrgang 1978, in Dittrichshütte aufgewachsen und lebt in Berlin. Derzeit fertigt sie bei Professor Niethammer in Jena eine Promotion zum Thema "Sonderbetrieb Uranerzbergbau der DDR".

16.08.2005

Quelle: OTZ
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Roby
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Beitrag von Roby »

Danke für den interessanten Bericht - und die Nachexkursion seinerzeit. :meister:

Glück auf
Roby
Conny2
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Re: Die Wismut-Episode in Dittrichshütte

Beitrag von Conny2 »

Hallo,

über diesen Beitrag bin ich wieder zu diesem Forum gekommen. Da ich 1980/81 "Nutznieser" :shock: dieser Berliner Häuser war, habe ich etwas recherchiert und möchte diese Bilder nicht vorenthalten. Es ist ein Teil aus einer Ansichtskarte von Dittrichshütte, wohl aus dem Jahr 1954 und zwei Luftbilder aus dem Jahr 1953. Auf einem ist die Wismutsiedlung zu sehen. Auf dem anderen die Halden und Schachtanlagen in der Nähe (passt zur Ansichtskarte). Die Quelle der von mir bearbeiteten und vergrößerten Luftbilder ist: https://www.govdata.de/dl-de/by-2-0 .(Freie Geodaten Thüringen)

Gruß Conny (Conrad)
Teil der Ansichtskarte von 1954 ?
Teil der Ansichtskarte von 1954 ?
Berliner Häuser, später Grenztruppenausbildung bis 1983.
Berliner Häuser, später Grenztruppenausbildung bis 1983.
Halden und Wismutgelände
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Zuletzt geändert von Conny2 am Sa. 05. Jun 21 15:46, insgesamt 2-mal geändert.
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